Für Elke

 

“Lieber Till,
zunächst möchte ich Dir ein großes Lob aussprechen: Dein Blog ist fesselnd und informativ. Durch Zufall bin ich auf ihn gestoßen und verfolge ihn nun schon seit längerem. Auch meine Tochter überlegt nach ihrem Abitur ins Ausland zu gehen. Daher führt mein Interesse. Vielleicht wäre Indien auch was für sie.
Was sind denn genau die Unterschiede zwischen Stadt und Land? Und wie sieht genau Deine Arbeit in der Schule aus? Das mit den behinderten Kindern ist ja schrecklich.
Wir würden uns sehr freuen, wenn Du uns noch ein wenig mehr Auskunft geben könntest.
Lg Elke”

 

Liebe Elke,

es freut mich sehr zu hören das dir mein Blog gefällt. Einen Auslandsaufenthalt nach Beendigung der Schulkarriere kann ich jedem nur empfehlen. Es ist eine einmalige Erfahrung die man niemals nachholen werden kann. Indien ist als Einsatzland für Freiwillige meiner Meinung nach sehr gut geeignet. Es gibt auf der einen Seite viel soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit und somit viele potentielle Einsatzmöglichkeiten sowie eine große Akzeptanz gegenüber Freiwilligen. Gleichzeitig muss man sich in Indien kaum Sorgen über seine Sicherheit machen und ich persönliche habe keine Bedenken nachts zu reisen oder durch die Stadt zu gehen, als Frau ist es natürlich etwas anders aber große Angst muss man sich nicht machen. Man ist ja auch eigentlich nie allein unterwegs. Die Infrastruktur ist ganz ordentlich und falls wirklich mal etwas sein sollte ist das nächste vernünftige Krankenhaus nicht weit. Man darf nur nicht mit der falschen Einstellung so einen Dienst antreten, es ist eher ein umfassendes Bildungsprogramm für einen selbst als nachhaltige Entwicklungshilfe. Das sollte einem vorher klar sein, sonst wird es schwer die Zeit zu genießen.

Die Unterschiede zwischen Stadt- und Landleben sind sehr groß. Dies spiegelt sich vor allem in der viel besseren Infrastruktur wieder. Auf dem Land hatte ich häufig zwölf Stunden Stromausfall und Wasser wurde zum Luxusgut da man nie genau wusste wann wieder welches kommt und man, wenn welches kam, viel Arbeit in die Lagerung usw. investieren musste. Selbst in dem eher ärmeren Viertel in dem ich nun in Chennai lebe haben wir bis auf sehr wenige Ausnahmen rund um die Uhr Wasser und nur geplante bzw. durch die Nachrichten bekanntgegebenen Stromausfälle. Auch das Mobilfunknetz über welches in den meisten Fällen auch das Internet läuft hatte hier in den letzten 2,5 Monaten keinerlei Ausfälle. Selbst bei Stromausfall bleibt das Netz stabil. Auf dem Dorf mussten wir unseren Müll verbrennen, die große Mülltonne in unserer Straße wird drei mal täglich geleert, was auch nötig ist.  Aber auch die Menschen sind anders. Dies liegt vor allem an dem viel höheren Bildungsniveau in der Stadt, man kann sich sogar mit den meisten Rikshawfahrern “normal” auf Englisch unterhalten. Auch die Mentalität der Menschen ist anders, man schaut mehr Nachrichten und ist durch den Einfluss der westlichen Welt und einer besseren Bildungssituation viel weltoffener. Das unser Bundespräsident Wulf zurückgetreten ist habe ich von einem Nachbarn erfahren noch bevor ich mir die Tagesschau auf YouTube angesehen hatte. Die großen Krankenhäuser in Chennai sind mindestens auf deutschem Niveau und übertreffen dies in Komfort und Service, wenn ich will fahre ich eine halbe Stunde und kann mich z.B. von einem deutschen Arzt behandeln lassen. Armut ist in Stadt und Land etwas ganz anderes. Das durchschnittliche Einkommen in der Stadt mag bei einem vielfachen dem eines Landbewohners liegen, allerdings klafft die Schere zwischen Arm und Reich noch viel deutlicher. Schnüffeltuchkinder die mich an der roten Ampel anbetteln sind keine Seltenheit, so etwas habe ich auf dem Land nie erlebt. Durch die neue indische Mittel- und Oberschicht welche vorwiegend in den Städten anzutreffen ist gibt es natürlich auch ganz andere Konsummöglichkeiten, die großen Einkaufszentren der Städte, welche auch viele Freizeitangebote beherbergen sind eigene kleine Welten. Ich kann morgens im kleinen Eckladen für 16 Rupie frühstücken und abends für 2000 Rupie ein argentinisches Rindersteak im Shopping Complex 3km entfernt zu mir nehmen, in Deutschland ist es schon schwierig für ein auswärts eingenommenes Abendessen das 125 fache von dem eines auswärts eingenommenen Frühstückes zu bezahlen. Zur Verdeutlichung: Ich esse zwei belegte Brötchen beim Bäcker um die Ecke in einer deutschen Stadt plus Kaffee für 2,50€ und gehe für 312,50€ Abendessen, das zeigt wie groß die Einkommensunterschiede sein müssen schon alleine am Konsumangebot, welches so auch große Nachfrage hat.  In der Stadt ist jedes Konsumgut immer verfügbar, der nächste McDonalds oder Coffeshop ist nie weiter als 15 Minuten mit dem Moped entfernt. Ich bin auf jeden Fall froh die Erfahrungen des Stadt- und Landlebens gemacht zu haben. Auf dem Land läuft auch einfach alles etwas ruhiger und gemütlicher ab, man hat nicht ständig den Lärm des Verkehrs. Es hat beides als Freiwilliger seine Vor- und Nachteile. Heimweh habe ich interessanter Weise erst bekommen seitdem in in der Großstadt lebe, ich denke dies liegt daran das hier vieles Versucht so wie bei uns zu sein, aber meistens ist es halt doch nur eine schlechtere Kopie, das lässt Heimweh aufkommen. Es ist auf jeden Fall auch Typ Sache ob man seinen Dienst auf dem Land oder in der Stadt ableisten sollte. Auf dem Dorf muss man sich viel mehr in Familienverbunde integrieren und einige von zu Hause gewohnte Freiheiten aufgeben (Vor allem als Frau!) , in der Stadt ist dies eigentlich nicht vonnöten. Dafür ist mehr Selbstständigkeit gefragt.

Das Arbeiten in einer indischen Schule ist kaum mit einer Lehrtätigkeit in Deutschland vergleichbar. Während das Ziel des deutschen Bildungssystems ist einen mündigen, kritischen, politisch aktivierten und selbstständigen Bürger zu formen kommt es mir in Indien häufig so vor als ob genau das Gegenteil der Fall währe. Es wird eigentlich nur auswendig gelernt und wiederholt. Eigenständiges denken ist an den einfachen Schulen weder gefragt noch erwünscht. Jegliche Form der Kreativität wird unterbunden. Wenn ich meinen Kids sage sie sollen ihre Zukunft malen dann versuchen sie alle das gleiche Bild abzuliefern. Auf allen Bildern finde ich das gleiche Haus, die gleichen Personen und die indische Flagge weht auf jedem Bild in die gleiche Richtung. Teile ich z.B. ein Mandala aus werde ich zu jedem Feld gefragt welche Farbe denn dort hineingehört. Wenn ich antworte das es keine richtigen oder falschen Farben für ein Mandala gibt traut sich vielleicht ein Kind von zehn selber das Mandala zu kolorieren, die anderen Kindern werden mit großer Gewissheit von diesem einem Alphatier “abmalen”. Es hat lange gebraucht bis die Kinder gelernt haben das sie in meinem Unterricht nicht alle im Chor irgendwelche einstudierten Texte runterbrüllen sollen, sondern jeder Einzelne individuell seine Lösung vorstellen soll. Am Anfang hat sich nie jemand getraut sich z.B. zu melden oder gar an die Tafel zu gehen. Offiziell unterrichten wir eigentlich jedes Fach, ich sehe meinen eigentlichen Unterricht jedoch nicht in Englisch oder Mathe sondern eher daran den Kindern und auch Lehrern zu zeigen was Bildung eigentlich ist. Das Verbinden, Verknüpfen und die Fähigkeit sich selber Dinge zu erschließen. Zurzeit lernen die Kinder für ihre Abschlussarbeiten. Die Kinder kennen alle Fragen und Antworten und die Tests bestehen eigentlich nur aus “Question & Answer” das bedeutet sie lernen zig Fragen und die dazugehörigen Antworten auswendig, wichtig ist es den genauen Wortlaut bei den Tests, wie zuvor gelernt aufzuschreiben. Die meisten Kinder wissen gar nicht was die Fragen und Antworten bedeuten, sie werden einfach einstudiert und dann aus dem Gedächtnis “abgemalt”. Das beginnt schon im Alter von vier Jahren. Es ist teilweise schon deprimierend, aber man sieht auch das eigentlich unglaublich viel Potential in den Kindern steckt. Die meisten Kinder haben Etwa sechs Stunden normale Schule am Tag, wenn es sich die Eltern leisten können gehen sie Nachmittags noch einmal vier bis fünf Stunden zu privaten Nachhilfeschulen, dazu kommen Hausaufgaben und Übungen. Es ist unglaublich zeitaufwendig und ineffektiv. In Deutschland würde da wohl kein Schüler mitmachen, erst recht nicht am Samstag. Schade ist das die Kinder kaum Zeit zum spielen haben, in der Freizeit wird meist Ferngesehen, sonst bekommen die Kinder noch einen zu dunklen Teint…..

Ich hoffe ich konnte einige Fragen beantworten und ich wünsche viel Spaß in Indien Zwinkerndes Smiley!

Trip to Kochin

 

Da wir im März, dank der vielen indischen Feiertage und der Einstellung unserer Schulleiterin jeden Feiertag die Schule zu schließen, ein langes Wochenende hatten haben Jan und ich einen kleinen Trip nach Kerala unternommen.

Map

Die etwa 700km haben wir über Nacht in insgesamt 14 Stunden zurückgelegt. Wir haben, wie immer, die günstige Sleeper Class gewählt. Da der Trip aber sehr spontaner Natur war konnten wir nicht im Voraus buchen. In Indien sollte man seine Bahntickets spätestens 6 Wochen vor abfahrt gekauft haben, ansonsten sind die Chancen auf einen Sitz- bzw. Schlafplatz sehr gering. Wir mussten daher auf so genannte “Taktal-Tickets” ausweichen. Dies sind Notfalltickets die man in begrenztem Umfang einen Tag vor Abreise erwerben kann. Man muss sich also das Reservierungsbüro suchen welches morgens als erstes öffnet und am besten schon eine halbe Stunde vor Öffnung vor dem Büro warten. Wir hatten glück und konnten uns noch jeder eine Liege sichern. Man muss allerdings etwa einen Euro mehr je Ticket löhnen, diese sind dann etwa 30% “teurer” als normal. Auf Kochin sind wir gekommen da uns am Wochenende vor der Reise Johanna und Ronja vom KKS besucht hatten. Die Mädels haben ihre sechswöchige Rundreise am Ende ihres Freiwilligendienstes in Chennai gestartet und uns vorgeschlagen uns alle ( sechs KKSler_innen und wir) in Kochin zu treffen. Gesagt, getan!

Leider sind wir morgens im Zug nicht rechtzeitig aufgestanden und etwa 120km vorbei an Kochin gefahren. Wir wissen auch immer noch nicht wie die Inder es schaffen immer rechtzeitig wach zu werden. Man weiß schließlich nie wann der Zug wo anhält. Wir sind daher in Alleppey angekommen, doch das Glück war auf unserer Seit. Unsere Reisebegleiter_innen waren zufällig auch gerade in diesem Ort so dass wir dann alle zusammen mit dem Bus zurück nach Kochin gefahren sind.

In Kochin angekommen sind wir gleich in ein nettes Guesthouse namens “Oys’la” eingecheckt. Da wir außerhalb der Saison da waren haben wir für 4€ pro Person die schönste Unterkunft bekommen die ich persönlich bisher in Indien hatte. Den ersten Tag haben wir uns dann den Ort angeschaut und waren italienisch Essen. Endlich mal wieder Spagetti Carbonara mit richtigem Parmesan und italienischen Oliven. Das war mir die fünf Euro wert.

Am nächsten Tag haben wir uns dann Roller geliehen und eine Tour zu unterschiedlichen Stränden unternommen. Die Fahrt war teilweise sehr abenteuerlich, allerdings merkt man das Kerala der reichste aller indischen Bundesstaaten ist. Die Infrastruktur ist einfach deutlich besser als überall anders.

Am Sonntag haben wir uns den Ort Kochin selbst nochmal genauer angeschaut. Hier gibt es die berühmten chinesischen Fischernetze, ein jüdisches Viertel und unglaublich viel Nippes aber auch sehr schönes Kunsthandwerk. Man kann sich auch (angeblich hunderte Jahre alte) komplette Tempelanlagen nach Europa verschiffen lassen, nötiges Kleingeld vorausgesetzt.

Am Montag habe Jan und ich dann eine der berühmten Backwater-Touren mitgemacht. Die Menschen in den Backwatern leben teilweise noch sehr abgeschieden und sind auf kleine Fischerboote angewiesen welche sie in die Stadt fahren. Wir haben auch verschiedene Plantagen besichtigt z.B. Kokosnuss, Pfeffer, Vanille.  Nachmittags ging es wieder zurück nach Chennai und aus dem Zug ging es direkt in die Schule. Ich kann inzwischen sehr gut in den indischen Zügen schlafen. Trotz Hitze und fehlenden Fenstern.

Genug gesprochen, hier die Bilder:

Annual Day

 

Heute hat unsere Schule das neun jährige Jubiläum gefeiert. Schon seit einem Monat haben die Kinder viel Tanzunterricht bekommen und die Headmistress hat die letzte Woche ausschließlich damit verbracht die Kostüme für die einzelnen Tänze und Kinder auszusuchen. Unser regulärer Unterricht wurde dadurch leider teilweise sehr gestört da alles im Zeichen des indischen Tanzes stand, etwas wofür ich mich völlig ungeeignet als “Lehrer” empfinde. Wir wurden schon häufiger von den Kindern aufgefordert deutsche Tänze zu zeigen und Traditionelle deutsche Lieder zu singen. Aber was sind traditionelle deutsche Lieder und Tänze?

Da es an unserer Schule aber eh keine Stundenpläne gibt kann man die Ausfälle flexibel kompensieren. Mein Unterricht gefällt den Kindern weiterhin und man sieht immer wieder kleine und auch größere Erfolge bei den Kindern. Probleme habe ich allerdings damit die geistig behinderten Kinder mit in den Unterricht einzubinden. Dafür fehlt mir die Ausbildung und auch die eigentlichen Lehrer wissen nichts mit ihnen anzufangen oder gar was für eine Art der Behinderung überhaupt vorliegt. Es ist sehr traurig mit an zu sehen das die benachteiligten Kinder im Unterricht meist nur vor sich hin vegetieren. Ich teile zur Beschäftigung meist etwas zu malen oder dergleichen aus. Diese Kinder gehören eigentlich an spezielle Schulen welche in Indien aber sehr rar und teuer sind.

Am meisten hatten wir uns darüber gefreut das der Großteil unserer Weltwärts genossen aus K.G.F auch kommen würde, wir haben uns alle seit etwa sechs Wochen nicht mehr gesehen. Kadda, Rachel und Sarah sind zusammen mit Prabhu am Abend, etwa eine Stunde nach offiziellem Begin der Veranstaltung eingetroffen. Diese Art der Verspätung gehört sich in Indien allerdings auch so da Prabhu als Chief Guest geladen war. Und der Chief Guest kommt immer etwas später und die Veranstaltung fängt vorher auch nicht an.

Die Veranstaltung selbst bestand in erster Linie aus Tänzen in Kostümen zu Hindi- Tamil- und englischer Musik. Als gegen Ende ein paar Reden gehalten wurden und Preise übergeben wurden leerten sich die Reihen der Zuschauer schlagartig. Was in Deutschland als äußerst unhöflich gelten würde bezeichneten die Lehrer an unserer Schule als Normal, die Zuschauer kommen nur um sich die Tänze der Kinder anzugucken. Unser Headmistress hat aber schon eine Lösung für dieses Problem für die Jubiläumsfeier nächstes Jahr gefunden: Erst ein paar Tanzeinlagen, dann die Reden gefolgt von weiteren Tänzen.

Die Tänze habe ich selbst als sehr Professionell empfunden, bei den Proben sah es meistens noch nicht so geschmeidig aus. Allgemein finde ich diese Art der Darbietung von Kindern für Erwachsene etwas gewöhnungsbedürftig. Man hat gemerkt das einige Kinder eigentlich gar keine Lust darauf hatten was sie machen sollten. Aber Hauptsache sie sehen niedlich aus und tanzen fein, so ist es halt Tradition!

Am Abend haben Jan und ich Sarah und Kadda noch ein wenig unser Viertel gezeigt, die Unterschiede von Stadt- und Landleben sind immer wieder beeindruckend.

Hier ein paar Eindrücke:

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